Die Sufis, die Schüler ihrer eigenen Einbildungen sind
Die meisten Menschen, die vom Pfad des Sufismus angezogen sind, werden Schüler eines Meisters, ihr Bild vom Meister aber entspricht vielmehr ihrem subjektiven Bild, wobei ein übereinstimmendes Benehmen vom Meister erwartet wird. Falls sie nach einer Weile schlussfolgern, dass der Meister nicht nach ihrem innerlichen Bild handelt, beschließen sie den Meister zu verlassen, weil der Meister aus ihrer Sicht nicht nach ihren Vorstellungen gehandelt hat. Tatsächlich erwarten sie, dass der Meister zum Schüler ihrer eigenen Vorstellungen wird, denn andernfalls folgern sie daraus, dass er oder sie kein guter Meister ist.
Solche Schüler – und das ist gewiss die Mehrheit – werden als “angezogene-und-verwehte” Schüler bezeichnet. Hierauf greift die Geschichte zurück, in welcher ein gewisser Meister ein Wunder vollbringt und einen Vogel wieder zum Leben erweckt, wobei sich viele Schüler zu ihm angezogen fühlten.
Beim Sehen der zunehmenden Anzahl der Schüler, beschloss der Meister sie zu testen. Also ließ er eines Tages einen fahren. All die Möchtegern-Schüler gingen mit Empörung, verwehten gewissermaßen. Daher waren sie tatsächlich “angezogene-und-verwehte”.
Wie Rumi es darstellt:
Ihr Schlafen und Essen sind in ihrer Einbildung;
ihr Wünschen und Verwerfen basieren auf ihrer Einbildung.
Ihr Krieg und ihr Frieden sind nichts außer Einbildung;
ihr Ruhm und ihre Schande sind erbaut auf Einbildung.
Seit Jahren heißt es “Des Meisters Untreue ist des Schülers Vertrauen”. D.h., falls der Meister etwas den Vorstellungen des Schülers widersprechendes sagt oder etwas entgegen der Wünsche des Schülers tut, und der Schüler ihm gegenüber getreu bleibt, ist somit bewiesen, dass der Schüler wahrlich dem Meister vertraut. Es gibt nur wenige Schüler in der Schule des Sufismus, welche ihren Meister, so lieben, wie er ist und nicht so, wie sie ihn gerne haben würden. Aus diesem Grund ist ein wahrer Sufi etwas Seltenes auf dieser Welt.
Die Meisten kommen durch ihre Einbildung und gehen durch ihre Einbildung.
Ein Rede von Dr. Javad Nurbakhsh (10.12.1926 – 10.10.2008)
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