Die Meister-Schüler Beziehung erneut aufgegriffen | A. Nurbakhsh
Sufismus ist die Schule der göttlichen Ethik, und der Meister des Pfades versucht das Herz des Sufis mit göttlichen Attributen zu schmücken.
Die Beziehung zwischen Meister und Schüler wurde im Sufismus oft als unerschütterliches Vertrauen charakterisiert. In dieser folgt der Schüler bzw. die Schülerin dem Meister auf seiner oder ihrer Reise in Richtung Wahrheit, ohne irgendwelche Fragen zu stellen oder irgendwelche Einwände zu erheben. Es ist eine innige Beziehung, in der die Liebe des Schülers für den Meister die Kraft sein wird, die es ihm oder ihr ermöglichen wird, dem Meister in Richtung Wahrheit zu folgen.
Die Erzählung von Khizr und Moses, wie es in Rumis Mathnawi beschrieben wird, ist ein oft zitiertes Beispiel, um die Beziehung zwischen Meister und Schüler zu illustrieren. Von Gott geleitet bricht Moses auf, um das Göttliche Wissen von Khizr zu erlernen. Khizr warnt Moses von Anfang an, indem er sagt – „Du wirst nicht im Stande sein mich zu begleiten, weil du nicht verstehen wirst was ich tue und du nicht die Kapazität hast, es zu akzeptieren.“ Trotz der Warnung besteht Moses darauf Khizr zu begleiten. Nach dem er Moses gewarnt hatte, führt er eine Serie von Handlungen durch, welche Moses als unzulässig ansieht. Mit dem dritten Einwand von Moses verkündigte Khizr, dass er Moses nicht mehr führen wird. Bevor sich ihre Wege trennen, erachtete Khizr es als notwendig die Handlungen, gegen die Moses Einwände hatte, zu erklären.
Moses konnte Khizr in seinem Streben nach Göttlichem Wissen nicht mehr folgen. Vielleicht hat er sich zuallererst auf sich selbst und seine Weise zu verstehen verlassen, bevor er sich auf Khizr verlassen konnte. Vielleicht war die Rechtfertigung einer Handlung für Moses wichtiger, als sich Khizr bei der Ausübung dieser Handlung anzuschließen. Was auch immer der Grund sein mag, grundlegend ist es, dass Moses dem Khizr nicht folgen konnte, weil er kein unerschütterliches Vertrauen in Khizr hatte, welches auf dem Pfad notwendig ist. Unerschütterliches Vertrauen in Khizr hätte bedeutet, dass trotz der Unwissenheit von Moses über die wahren Konsequenzen von Khizrs Handlungen, sollte Moses dem Khizr gefolgt haben ohne Fragen zu stellen oder Einwände zu erheben, weder äußerlich noch innerlich.
Jemandem zu vertrauen ist nicht etwas, das sofort passiert. Gewöhnlich braucht wir Jahre von Bekanntschaft und Interaktion mit einer Person, bevor wir anfangen einander zu vertrauen. Wir brauchen es, Fragen zu stellen, prüfen aber auch das Verhalten dieser Person, bevor der Punkt des Vertrauens erreicht ist. Wenn es zu Meister-Schüler Verhältnis kommt, so wäre es sehr ungewöhnlich für den Schüler den Zustand des unerschütterlichen Vertrauens in den Meister erreicht zu haben, wenn er oder sie gerade erst in den spirituellen Pfad initiiert wurde. Es braucht jahrelanges Durchhaltevermögen seitens des Schülers und ein hohes Maß an Geduld seitens des Meisters, damit die Beziehung von Vertrauen sich entwickeln kann.
Während der Periode, wenn das Aneignen der Eigenschaft des unerschütterlichen Vertrauens in den Meister statt findet, erwartet der Schüler vom Meister sich getreu des Schülers bekannten Regeln und Konventionen zu verhalten. Es ähnelt der Beziehung zwischen Khizr und Moses, in welcher Moses von Khizr erwartet konventionellen Regeln und Gesetzen zu folgen. Wenn der Schüler jedoch einmal unerschütterliches Vertrauen erlangt, transformiert sich das Verhältnis zwischen Meister und Schüler auf ein neues Niveau, welches über die Welt der Vorschriften und Konventionen und das Reich der Rechtfertigungen und Begründungen hinausgeht. Es ist der Anfang der Reise der Liebe und der Selbstlosigkeit, denn diese Eigenschaften lassen das Eigeninteresse in der Beziehung zu anderen unbeachtet. Wenn wir selbstlos oder aus Liebe handeln, gehen wir über die Welt der Regeln und Konventionen hinaus, die zumeist entwickelt sind, um uns vor anderen zu schützen.
Selbstlos zu handeln ist jedoch nicht etwas, was wir durch unsere eigene Natur, geneigt sind zu tun. Unsere Natur ist uns selbst zu schützen und unser Impuls ist es aus dem Eigeninteresse zu handeln.
Unser Ego fordert, dass wir uns zuerst selbst schützen, bevor wir andere schützen, aber auf dem dem Sufi Pfad erwartet man von uns, dass wir anderen den Vorrang geben. Ein Meister ist jemand, der Selbstlosigkeit durch Vorbild lehrt und gelegentlich vom Schüler selbstlose Taten fordert. Aber, ohne das Vertrauen des Schülers in den Meister, ist das nicht möglich.
Je mehr Vertrauen der Schüler in den Meister hat, desto einfacher ist es für ihn oder sie, dem Meister auf dem Weg der Liebe und Gutherzigkeit zu folgen. Liebe und Gutherzigkeit können jedoch nicht mit Worten gelehrt werden. Eine Mutter lehrt ihr Kind nicht nur anderen gegenüber liebevoll zu sein, indem sie diese bittet sich nur auf ihre Worte zu verlassen. Sie verhält sich liebevoll gegenüber anderen und die Kinder folgen ihrem Beispiel. In gleicher Weise kann ein Meister den Schüler nicht dazu überreden gutherzig anderen gegenüber zu sein, indem er einfach eine Rede zu diesem Thema hält. Der Meister handelt gutherzig und der Schüler folgt seinem oder ihrem Beispiel. Noch einmal, ohne dem Meister zu vertrauen kann der Schüler diesen Sprung nicht vollbringen.
Die Meister-Schüler Beziehung, wie auch jede andere auf Vertrauen basierende Beziehung, kann eine falsche Wendung nehmen und schädlich für den Meister sowie für den Schüler sein. Folgende ist die Gefahr für den Schüler: Anstatt dem Meister zu vertrauen, dass er ihn oder sie zur Wahrheit führt, macht der Schüler aus dem Meister ein Idol – ein Idol, welcher die Eigenschaft besitzt, sich entsprechend den Erwartungen und Wünschen des Schülers zu handeln. Weniger überraschend ist es, wenn der Meister versagt auf so ein Art und Weise zu handeln und somit der Schüler desillusioniert wird und daher nicht im Stande sein wird, seine spirituelle Reise fort zu setzen. Die Gefahr für den Meister ist es das Vertrauen des Schülers auf solch eine Weise zu missbrauchen, dass er anstelle den Schüler in Richtung Wahrheit zu führen ihn oder sie in Richtung des Ödlandes seines eigenes Egos führt.
Ein Artikel aus dem englischen Sufimagazin Sommer/Herbst 2010
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